Nachruf

Prof. Dr. med. Gerrit Hohendorf

Nach schwerer Krankheit ist im Juli 2021 unser stellvertretender Institutsdirektor Prof. Dr. Gerrit Hohendorf verstorben. Gerrit Hohendorf war Medizinhistoriker, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, außerplanmäßiger Professor an der Technischen Universität München (TUM) und Leiter unseres Arbeitsbereichs Medizingeschichte am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin (IGEM). Schwerpunkte seiner Arbeit waren die Medizin im Nationalsozialismus, die Geschichte und Ethik der Psychiatrie sowie die aktuellen ethischen Fragen am Lebensanfang und am Lebensende aus einer historischen Perspektive.

Gerrit Hohendorf war ein international führender Experte auf dem Feld der Erforschung der NS-Medizin. Wegweisend waren dabei insbesondere seine Arbeiten zur NS-Euthanasie. Ein zwischen 2002 und 2007 von ihm geleitetes DFG-Projekt „Zur wissenschaftlichen Erschließung und Auswertung des Krankenaktenbestandes der nationalsozialistischen ‚Euthanasie’-Aktion T4“ stellte das Geschehen rund um die zentrale Krankenmordaktion „T4“ erstmals auf eine fundierte statistisch-empirische Basis. Bereits während dieses Forschungsprojekts kristallisierte sich mit der konsequenten Berücksichtigung der Betroffenenperspektive ein großes Anliegen von Gerrit Hohendorf heraus. Das 2007 von ihm mitherausgegebene Buch „Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst“ schildert auf eindrückliche Weise den Lebensweg von über 20 Opfern der NS-„Euthanasie“. Die Publikation wurde 2008 mit dem Forschungspreis zur Rolle der Ärzteschaft im Nationalsozialismus des Bundesministeriums für Gesundheit, der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ausgezeichnet. Auch im weiteren Verlauf seiner wissenschaftlichen Laufbahn lag es Gerrit Hohendorf sehr am Herzen, dass die Opfer der NS-„Euthanasie“ einen angemessenen und würdigen Platz in der deutschen und internationalen Erinnerungskultur an das „Dritte Reich“ und seiner Medizinverbrechen zuerkannt bekommen.

In diesem Zusammenhang war ihm die Errichtung eines Informations- und Gedenkortes für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“ in der Berliner Tiergartenstraße 4 besonders wichtig. Am 2. September 2014 wurde der von ihm federführend gestaltete Gedenkort der Öffentlichkeit übergeben. Wegweisend war auch Gerrit Hohendorfs Mitarbeit am Gedenkbuch für die Münchener Opfer der NS-„Euthanasie“. Das Buch ist 2018 erschienen und bietet unter methodischen Gesichtspunkten grundlegendes zur Ermittlung von Opfern der NS-Krankenmorde. Gerrit Hohendorfs Habilitationsschrift „Der Tod als Erlösung vom Leiden – Geschichte und Ethik der Sterbehilfe seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland“ gilt als wichtiges Referenzwerk und wurde 2014 mit dem Publikationspreis des Deutschen Museums ausgezeichnet.

Gerrit Hohendorf war ein liebenswürdiger, den Menschen zugewandter und über alle Maßen hilfsbereiter, verlässlicher und kooperativer Kollege. Wir werden ihn als enthusiastischen Lehrer, als immer offenen und reflektierten Gesprächspartner und als exzellenten Forscher sehr vermissen. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie, der wir viel Kraft im Angesicht des schrecklichen Verlustes wünschen.

Um seiner zu gedenken, wurde im Herbst 2021 eine akademische Trauerfeier am Institut ausgerichtet, bei der das Werk und Schaffen von Gerrit Hohendorf gewürdigt wurde.

In Gedenken,

die Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, Technische Universität München

 

Forschungsschwerpunkte

  • Psychiatriegeschichte
  • Geschichte der Medizinischen Ethik
  • Medizin im Nationalsozialismus
  • Nationalsozialistische Krankenmorde in europäischer Perspektive
  • Erinnerungskultur in Bezug auf den Nationalsozialismus
  • Geschichte und Ethik der Sterbehilfe vom 19. bis zum 21. Jahrhundert
  • Geschichte und Ethik der Reproduktionsmedizin
  • Autonomie und Lebensende/Patientenverfügungen
  • Ethik der Psychiatrie

 

Forschungsprojekte

Laufende Forschungsprojekte:

  • Hirnforschung an Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Kontext nationalsozialistischer Unrechtstaten: Hirnpräparate in Instituten der Max-Planck-Gesellschaft und die Identifizierung der Opfer: Teilprojektleitung: Prof. Dr. Gerrit Hohendorf

 

Abgeschlossene Forschungsprojekte:

  • Gedenkbuch und Rechercheprojekt Die Münchner „Euthanasie“-Opfer: Projektleitung: Prof. Dr. Annette Eberle, Prof. Dr. Gerrit Hohendorf, Prof. Dr. Michael von Cranach, Dr. Sibylle von Tiedemann
  • Erinnern heißt gedenken und informieren: Die nationalsozialistische “Euthanasie” und der historische Ort Berliner Tiergartenstraße 4 – Ein Erkenntnistransferprojekt: DFG-gefördertes Projekt, Projektleitung: Prof. Dr. Gerrit Hohendorf, Prof. Dr. Maike Rotzoll
  • Die verfasste Bayerische Ärzteschaft und die Praxis der Medizin im Nationalsozialismus: Kooperationsprojekt mit der Bayerischen Landesärztekammer, Projektleitung: Prof. Dr. Gerrit Hohendorf

 

Mitgliedschaften

  • Fachverband Medizingeschichte
  • Münchner Vereinigung für Geschichte der Medizin
  • Akademie für Ethik in der Medizin
  • Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation
  • Förderverein Internationale Jugendbegegnung Dachau e. V.
  • Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.

 

Kontakt

Das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin freut sich über Ihre Kontaktaufnahme.

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M  medizinethik.med@tum.de

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